#32: 00:06-7# Hashtag Volatility: Der Anlage-Podcast von Börsen-Zeitung und QC Partners.
#32: 00:14-1# [Bùi] Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich begrüße Sie herzlich zu einer neuen Episode von Hashtag Volatility, dem Anlage-Podcast von Börsen-Zeitung und QC Partners. Mein Name ist Franz Công Bùi und ich bin Redakteur der Börsen-Zeitung. Und mein Gesprächspartner ist wie stets Thomas Altmann, Leiter des Portfoliomanagements von QC Partners. Der Mai steht bevor und nicht nur eingefleischten Börsenfans dürfte die Redensart „Sell in May and go away“ geläufig sein. Wir wollen dieser vermeintlichen Regel heute mal genauer auf den Grund gehen und erörtern, was es damit auf sich hat. Herr Altmann, lassen Sie uns mit den Ursprüngen beginnen. Woher kommt diese Regel eigentlich?
#32: 00:49-1# [Altmann] Die Börsenweisheit „Sell in May and go away“ ist Jahrhunderte alt, kommt also aus einer ganz anderen Zeit. Entstanden ist sie in Großbritannien, im 17 oder 18. Jahrhundert. Damals dominierten die Lords und Earls das Geschehen an der Londoner Börse und in diesen Kreisen war es üblich, den Sommer auf dem Land zu verbringen. Und da der Nachrichtenfluss aufs Land in dieser Zeit viel zu spärlich war, um Investmententscheidungen zu treffen, wurden die Aktien eben vor der Abreise verkauft. Wir müssen also berücksichtigen, dass diese Regel aus einer Zeit stammt, in der Anlegerinnen und Anleger nicht immer und überall Zugriff auf ihre Depots hatten. Und dazu kommt noch ein weiterer Aspekt.
#32: 01:26-9# [Bùi] Angesichts dieser Historie ist es bemerkenswert, dass sich dieser Spruch bis heute gehalten hat. Aber auch diesen weiteren Aspekt bin ich jetzt gespannt.
#32: 01:33-2# [Altmann] Dividenden haben früher für Aktienanleger eine noch viel wichtigere Rolle gespielt als heute und diese Dividenden werden größtenteils im Frühjahr gezahlt. Damit sind Anleger nach dieser Regel nach erfolgter Dividendenzahlung erst einmal ausgestiegen.
#32: 01:47-9# [Bùi] Okay, nun hat aber diese Regel noch einen zweiten Teil, der sich an „Sell in May and go away“ anschließt.
#32: 01:52-1# [Altmann] Genau so ist es. Und hier gibt es zwei unterschiedliche Varianten, nämlich „but remember, come back in September” und auch „but remember, come back in November”. Das bedeutet die Lords und Earls sind nach dem Sommer auf dem Land wieder eingestiegen. Damit waren sie rechtzeitig zu Jahresendrallye zurück und haben im Anschluss die nächste Dividendensaison nicht verpasst.
#32: 02:11-5# [Bùi] Clever. Kommen wir zur Zahlenbasis, lässt sich denn ein Nutzen dieser Regel statistisch beweisen?
#32: 02:17-6# [Altmann] Schauen wir hier zunächst einmal auf den Dow Jones. Da haben wir mit einer Historie von mehr als 120 Jahren die längste Datenhistorie. Seit dem Jahr 1900 ist der Mai neben dem Februar und dem September tatsächlich einer von drei Monaten mit einer im Durchschnitt negativen Performance. Allerdings fällt diese mit -0,07 Prozent recht gering aus und auch weniger negativ als im Februar und im September.
#32: 02:41-3# [Bùi]Und wenn wir jetzt berücksichtigen, dass die Regel für eine andere Zeit gemacht wurde und galt, war die Aussage in der frühen Dow Jones Historie prägnanter/zutreffender?
#32: 02:49-3# [Altmann] Greifen wir hier mal einen Zeitraum wie 1950 bis 1980 heraus, dann sehen wir hier tatsächlich eine deutlich negative Mai-Performance und auch eine negative Juni-Performance, die mit dieser Regel ebenfalls gemieden werden soll. Seit den 2000er Jahren ist der Mai zwar im Durchschnitt weiterhin negativ, allerdings teilt er sich dieses Schicksal gleich mit vier weiteren Monaten. Und von den fünf negativen Monaten ist der Mai der mit dem geringsten Minus. Negativ sind, dann auch der Januar und der Februar. Und in diesen Monaten wären Anleger, die nach der alten Weisheit agieren, hier voll investiert.
#32: Also ist diese Regel mittlerweile überholt?
#32: Ja, das können wir genau so sagen. Ein Grund für die immer noch leichte Schwäche im Mai könnte auch die sich selbst erfüllende Prophezeiung sein. Sprich, solange genügend Anleger im Mai ihre Aktien auf den Markt werfen, kann sich der Mai nicht übermäßig gut entwickeln.
#32: Gibt es denn andere saisonale Muster, die sich statistisch besser belegen lassen?
#32: Die gibt es. Und ein Paradebeispiel dafür ist die eingangs schon kurz angesprochene Jahresendrallye. Fast unabhängig vom Zeitraum gehören der November und Dezember zu den besten Börsenmonaten des Jahres.
#32: 03:58-6# [Bùi] Interessant. Nun haben wir aber ausschließlich über den Dow Jones gesprochen. Viele unserer Hörerinnen und Hörer interessieren sich sicherlich noch mehr für den DAX. Gilt hier denn dasselbe?
#32: 04:08-2# [Altmann] Hier haben wir leider eine kürzere Datenhistorie. Aber an sich gilt hier das Gleiche. In den 60er, 70er und 80er-Jahren lässt sich noch einen Nutzen von „Sell in may and go away“ zeigen, in den 2000er Jahren nicht mehr. Die Jahresendrallye können wir dagegen auch beim DAX zeigen.
#32: 04:24-6# [Bùi] Also keine großen Unterschiede, diesseits und jenseits des Atlantiks. Kommen wir zu unserem Kernthema, der Volatilität. Erkennen Sie denn hier ein saisonales Muster? Und wie sieht das vor allem für den Mai aus?
#32: 04:35-2# [Altmann] Einschränkend muss ich hier vorwegschicken, dass die Zeitreihen der Volatilitätsindizes erst Anfang der 90er-Jahre beginnen. Und bleiben wir hier in Deutschland und schauen auf den VDAX-NEW, den Volatilitätsindex des DAX. Tatsächlich zeigt die Auswertung dieser etwa 30 Jahre, dass die Volatilität durchschnittlich im April zurückgeht und ab Mai wieder anzieht.
#32: 04:55-8# [Bùi] Von welchen Dimensionen sprechen wir hier? Wie groß sind die Veränderungen?
#32: 04:59-4# [Altmann] Das ist das Problem, die sind sehr gering. Denn trotz des Anstiegs ist das durchschnittliche Volatilitätsniveau im Mai niedriger als im April. Und das Gleiche gilt übrigens auch für den VIX, den Volatilitätsindex des S&P 500 sowie den Volatilitätsindex des japanischen Nikkei 225.
#32: Wie fällt Ihr Fazit für den Volatilitätsereich aus?
#32: Das fällt ähnlich aus wie für den Aktienmarkt. Die saisonalen Veränderungen sind statistisch nicht signifikant. Handlungsempfehlungen lassen sich aus einem saisonalen Volatilitätsverlauf deshalb nicht ableiten. Stattdessen sollten Anlegerinnen und Anleger auf andere Fakten schauen.
#32: 05:35-0# [Bùi] Da kommen wir zu einem weiteren spannenden Thema, wenn wir auf diese Fakten schauen. Denn könnte nicht genau dieses Jahr das Motto „Sell in May and go away“ doch ein guter Ratschlag sein? Immerhin haben wir beim DAX gerade eine bemerkenswerte Rally gesehen, die uns alle beeindruckt und vielleicht sogar in ihrem Ausmaß überrascht hat.
#32: 05:51-0# [Altmann] Wie Sie gerade schon angedeutet haben, hat der DAX in diesem Jahr erstmals die Marken von 14.000 Punkten und auch von 15.000 Punkten überschritten. Das ist gleichbedeutend mit einem Plus von zeitweise 13 Prozent seit Jahresbeginn beziehungsweise sogar von 50 Prozent innerhalb von zwölf Monaten. Da ist Ihre Frage, ob es in diesem Jahr sinnvoll sein kann, im Mai zu verkaufen, absolut berechtigt.
#32: Aber beantwortet haben Sie die Frage damit noch nicht.
#32: Das stimmt. Die Antwort hierauf ist auch nicht ganz einfach und hat mehrere Aspekte.
#32: Dann legen Sie mal los.
#32: Starten wir mit der Bewertung am Aktienmarkt. Wir haben beim DAX im Moment ein Kurs/Gewinn-Verhältnis von 44 auf Basis der historischen Gewinne. Dem steht ein Kurs/Gewinn-Verhältnis von 16 auf der Basis der zukünftig erwarteten Gewinne gegenüber. Daraus können wir ablesen, dass die Börsianer für die DAX 30 Unternehmen beinahe mit einer Verdreifachung der Gewinne rechnen.
#32: Das klingt imposant, wie wahrscheinlich ist das denn tatsächlich?
#32: Jetzt schauen wir zunächst ein Stück zurück. Covid19 bedingt sind die Unternehmensgewinne auf das Niveau von 2010 gefallen. Das war in der Spitze ein Rückgang um 77 Prozent. Jetzt sind wir immer noch 60 Prozent unter dem Rekordgewinn im Jahr 2018. Das es von hier aus also weiter nach oben gehen wird ist ganz klar, wenn sich die Gewinne jetzt, wie erwartet, beinahe verdreifachen. Dann wären wir knapp über dem 2018 Hoch und hätten tatsächlich ein neues Gewinnrekordhoch.
#32: Aber mit einem gleichzeitig deutlich höheren Kursniveau?
#32: Genau das ist der Punkt dabei. Die Bewertung wäre dann trotzdem deutlich teurer als 2018. Und deshalb müssen die Gewinne eben mindestens so stark steigen wie erwartet, um das aktuelle Kursniveau zu rechtfertigen. Geringere oder verspätete Gewinnanstiege könnten für das aktuelle Kursniveau zu einer ernsten Bedrohung werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Volkswirtschaften der Euro-Zone den Einbruch ihrer Bruttoinlandsprodukte in diesem Jahr noch nicht aufholen werden. Von daher bleibt spannend zu beobachten, ob den Unternehmen gelingen wird, was den Volkswirtschaften verwehrt bleibt.
#32: 07:52-5# [Bùi] Aber woher kommt dann die Fantasie für weitere steigende Kurse, die viele ja immer noch haben? Das Ende der Fahnenstange scheint ja noch nicht erreicht.
#32: 07:59-5# Das ist tatsächlich eine interessante Frage. Klar ist, dass weitere Kurssteigerungen nur mit weiteren Gewinnanstiegen über die bisherige Gewinnprognose hinaus zu rechtfertigen sind. Denn mit einem aktuellen Wert von 16 liegt das erwartete Kurs/Gewinn-Verhältnis schon jetzt ein Drittel höher als durchschnittlich in den zehn Jahren vor der Pandemie. Die entscheidende Frage ist also, wie schnell und wie stark die Gewinne die historischen Maximalwerte übertreffen können. Und das Argument der Alternativlosigkeit der Aktie hat sich ja auch etwas abgeschwächt.
#32: 08:30-5# [Bùi] Sie spielen jetzt auf den Zinsanstieg und die Anleiherenditen an.
#32: 08:33-4# Vollkommen richtig. Hierzulande sind mit lang laufenden Anleihen zumindest wieder positive, wenngleich noch immer keine auskömmlichen, Renditen zu erzielen. In den USA, dem Mutterland der Aktienkultur, sind Anleihen dagegen wieder eine ernstzunehmende Alternative zu Aktien. Gegenwind bedeuten höhere Zinsen für Aktien aber vor allem deshalb, weil die Finanzierungskosten der Unternehmen damit ansteigen.
#32: Und dennoch steigt auch der S&P 500 stetig an.
#32: Und das ist wirklich beeindruckend, denn auf der Basis der historischen Gewinne hat der S&P 500 mit 32 die höchste Bewertung seit Beginn der Datenerhebung 1954 erreicht. Das erwartete Kurs/Gewinn-Verhältnis liegt mit 24 ebenfalls im Bereich der historischen Höchstwerte. Wir müssen hier berücksichtigen, dass das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis langfristig bei 16 liegt. In den zehn Jahren vor dem Beginn der Pandemie lagen durchschnittlich bei 18.
#32: Geht die Tendenz in der laufenden Berichtssaison dann in die richtige Richtung?
#32: Im Moment sind wir noch in einem relativ frühen Stadium der Berichtssaison. Aber wir sehen auf Index Ebene zumindest steigende Gewinne.
#32: Dann kommen wir zu dem Fazit wie sollten sich Anleger verhalten? Sell in May and go away oder lieber investiert bleiben?
#32: Darauf gibt es tatsächlich keine pauschale Antwort. Die Entscheidung, Aktien zu halten, sollte immer aus der Erwartung an die Entwicklung der Unternehmensgewinne herausfallen. Optimisten bleiben also investiert, Pessimisten reduzieren ihre Bestände oder sichern diese ab.
#32: 09:58-7# Das werden wir im anstehenden Wonnemonat genau beobachten. Vielen Dank, Herr Altmann für diesen Einblick in den Börsenjargon und seine Historie sowie die Einordnung dieser Börsenweisheit. Und ich bedanke mich bei unseren Zuhörerinnen und Zuhörern für ihr Interesse. Am Freitag um sieben Uhr morgens erscheint übrigens wieder eine neue Folge von 7 Tage Märkte, die Wochenvorschau der Börsen-Zeitung. Zu hören auf allen gängigen Podcast-Plattformen. Weitere Informationen dazu finden Sie in den Shownotes und in zwei Wochen kommt die nächste Episode von Hashtag Volatility, dann wieder mit meiner Kollegin Christiane Lang und einem anderen spannenden Thema. Bis dahin wünsche ich Ihnen, Herr Altmann, sowie auch unseren Zuhörerinnen und Zuhörern, weiterhin alles Gute.
#32: 10:35-9# [Altmann] Bleiben Sie gesund.7890