#Volatility - Der Anlage-Podcast

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#32: 00:05-1# Hashtag Volatility: Der Anlage-Podcast von Börsen-Zeitung und QC Partners.

#32: 00:14-4# [Lang] Der türkische Staatspräsident Erdogan hat Ende März zum wiederholten Mal den Chef der Notenbank gefeuert und kurz danach auch dessen Vize. Das hat die türkische Lira in eine neue Krise gestürzt. Zugleich ist die Inflation mit etwa 17 Prozent sehr hoch, aber Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung liegen nicht auf Erdogans Linie. Die Gemengelage in der Türkei und ihre Auswirkungen, das ist heute unser Thema in unserem Podcast Hashtag Volatility und dazu begrüße ich Sie sehr herzlich. Mein Name ist Christiane Lang, ich bin Redakteurin bei der Börsen-Zeitung und ich spreche mit Thomas Altmann, Partner und Leiter des Portfoliomanagements bei QC Partners. Herr Altmann, die türkische Lira hat zuletzt dramatisch an Wert verloren und gegenüber dem Euro Ende April einen neuen Tiefstand erreicht. Gegenüber dem Dollar ist sie fast auf den Tiefstand vom vergangenen November gerutscht und an der Aktienbörse und am Anleihemarkt gaben die Kurse nach. Insgesamt sind die Entwicklungen in der Türkei aktuell von hoher Volatilität geprägt. Was sind die Gründe?

#32: 01:11-0# [Altmann] Der erneute Wechsel an der Notenbankspitze war natürlich ein erheblicher Vertrauensverlust in die türkische Lira. Immerhin war das der dritte Rauswurf eines Zentralbankpräsidenten innerhalb von nur zwei Jahren. Naci Agbal hatte noch kurz vor seiner Entlassung den Leitzins auf 19 Prozent erhöht. Mit einer Reihe von Zinserhöhungen hatte er zuvor verloren gegangenes Vertrauen in die türkische Währung wieder hergestellt. Unter seinem Nachfolger Sahap Kavcioglu müssen wir uns jetzt auf eine erneute Anpassung der türkischen Geldpolitik einstellen. Kavcioglu gilt als Gegner von Zinserhöhungen. Er positioniert sich ganz klar mit seiner Linie, das Zinserhöhungen, die wirtschaftlichen Probleme der Türkei nicht lösen werden. Die Spannungen zwischen den USA und der Türkei haben die Schwankungen und den Wertverfall zusätzlich verstärkt. Kernthema ist hier Joe Bidens Einordnung des Massakers an Armeniern. Joe Biden ordnet dies ganz klar als Genozid ein. Vielleicht schauen wir uns erst einmal genauer an, wie hoch die von Ihnen angesprochenen Schwankungen denn sind.

#32: 02:08-8# [Lang] Gerne. Von was reden Sie da genau? Also wie groß sind diese Schwankungen sowohl absolut als auch relativ zur deutschen Wirtschaft?

#32: 02:14-5# [Altmann] Starten wir hier mit absoluten Zahlen. Vor 20 Jahren wurden für einen Euro 0,6 türkische Lira bezahlt. Jetzt sind wir hier bei mehr als zehn türkischen Lira pro Euro. Die für die kommenden sechs Monate erwartete Volatilität der Lira zum Euro liegt bei 20 Prozent. Zum Vergleich: Zwischen Euro und US-Dollar liegt dieser Wert bei sechs Prozent.

#32: 02:36-1# [Lang] Das sind also erhebliche Schwankungen. Wie sieht es hier beim türkischen Aktienmarkt aus?

#32: 02:40-5# [Altmann] Schauen wir hier auf den BIST 30 Index. Hier hatten wir zwischen Januar und März zwischenzeitlich einen Einbruch um 24 Prozent, die Volatilität lag hier in den vergangenen sechs Monaten bei 26 Prozent. Und auch hier wieder der Vergleich: Beim DAX war sie mit 14 Prozent nur etwa halb so hoch.

#32: 02:57-6# [Lang] Also herrscht große Unruhe an den türkischen Märkten, dazu die hohe Inflation. Mit zwei Zinserhöhungen zwischen November und März hatte der ja nun entlassene Notenbankchef Agbal eine deutliche Erhöhung der Lira erreicht. Das hat ihn dennoch den Kopf gekostet, weil Erdogan die Zinsen niedrig halten möchte, um die Wirtschaft anzukurbeln. Man hätte also erwarten können, dass Agbals Nachfolger die Zinsen eben aus diesen politischen Gründen wieder senkt. Nun hat er sie in den beiden Zinssitzungen seit seinem Amtsantritt im April zunächst unverändert bei 19 Prozent gelassen. Muss er nicht auf Erdogans Druck früher oder später die Zinsen senken? Und wann könnte das der Fall sein?

#32: 03:33-1# [Altmann] Dass Erdogan lieber niedrigere Zinsen sieht, ist bekannt. Daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Erdogan möchte die Konjunktur mit niedrigen Zinsen ankurbeln. Damit möchte er Investitionen fördern und die hohe Arbeitslosenquote von zuletzt 13 Prozent senken. Wirtschaftswissenschaftlich ist dieser Ansatz, die Inflation mit niedrigen Zinsen zu bekämpfen, jedoch, vorsichtig ausgedrückt, wenig anerkannt. Und einige Investoren befürchten, dass Erdogan die Notenbank mit dem Wechsel an der Spitze stärker unter seine Kontrolle bringen möchte und so mehr Kontrolle über die Geldpolitik erlangen möchte. Kavcioglu gilt als sozialer Erdogan Anhänger. Von daher wird sicherlich spannend zu beobachten, als wie unabhängig die türkische Notenbank von den Börsianern zukünftig wahrgenommen wird. Eine unmittelbare Zinssenkung wäre allerdings wirtschaftlich trotzdem kaum zu rechtfertigen gewesen.

#32: 04:20-9# [Lang] Sie meinen also, dass die Auswirkungen des wirtschaftlichen Umfelds so signifikant sind, dass selbst der politische Wille Erdogans zurückstehen müsste?

#32: 04:27-9# [Altmann] Genauso ist es. Der Druck auf die Währung hätte durch eine Zinssenkung noch deutlich größer werden können. Schauen wir kurz auf das wirtschaftliche Umfeld. Die Inflationsrate ist zuletzt wieder deutlich angestiegen, von gut elf Prozent im Sommer letzten Jahres auf zuletzt mehr als 17 Prozent. Der Leitzins liegt aktuell bei 19 Prozent. Damit liegt er trotz einiger Erhöhungen seit dem Sommer 2020 noch immer fünf Prozent niedriger als im September 2018 und Juni 2019. Eine Prognose, wann sich der Leitzins in welche Richtung bewegt, kann ich da leider nicht geben.

#32: 04:59-7# [Lang] Okay, kommen wir vielleicht mal zum Thema Vertrauensverlust. Wie viele internationale Gelder sind denn aktuell durch die letzten Ereignisse abgezogen worden? Und was bedeutet das für die Türkei?

#32: 05:10-7# [Altmann] Hier eine genaue Zahl zu geben ist kaum möglich. Erdogan selbst sprach von 31 Milliarden US-Dollar ausländischer Kapitalabflüsse während der vergangenen beiden Jahre.

#32: 05:20-4# [Lang] Es ist denkbar, dass die Lira mit Devisenverkäufen gestützt werden kann, wie es Erdogan ja auch schon angekündigt hat? Hat die Türkei überhaupt noch ausreichend Devisenreserven? Derzeit gibt es ja auch den Streit mit der Opposition um die 2018 verkauften 128 Milliarden Dollar, als es ebenfalls aufgrund von Spannungen mit den USA zu einem Lira-Sturz kam.

#32: 05:39-3# [Altmann] Das ist natürlich etwas, das die Türkei schon versucht. Die Türkei hat bereits massiv Devisenreserven zur Stützung der Lira auf den Markt geworfen. Zuletzt hat die Türkei Devisenreserven im Gegenwert von knapp 48 Milliarden Dollar angegeben. Das bedeutet allerdings auch, dass in den letzten Jahren bereits knapp 60 Prozent der Devisenreserven abgeflossen sind. Die Frage, wo die Lira ohne die bisherigen Stützungskäufe stehen würde, wollen wir jetzt nicht stellen. Die 48 Milliarden klingen jetzt wahrscheinlich nach mehr, als es sind. Insbesondere im Verhältnis zu den Fremdwährungsverbindlichkeiten, auf die wir ja noch kommen werden. Und allein für die vergangenen beiden Jahre spricht Erdogan davon, dass 30 Milliarden zur Finanzierung des Defizits ausgegeben wurden.

#32: 06:21-0# [Lang] Sie sagen, man mag sich nicht vorstellen, wo die Lira ohne die Stützungskäufe stehen würde – wie steht sie denn im Vergleich zu anderen Schwellenländerwährungen da?

#32: 06:29-6# [Altmann] Wir machen hier mal einen 10-Jahres-Vergleich. Die türkische Währung hat in diesem Zeitraum im Vergleich zum Euro 80 Prozent ihres Wertes eingebüßt. In Brasilien, das ebenfalls große Probleme hat, waren es knapp 70 Prozent. In Indien und Indonesien lagen die Abwertungen jeweils bei 35 Prozent. Der thailändische Baht hat sogar aufgewertet. Allerdings gibt es mit dem argentinischen Peso noch eine Währung, die deutlich stärker abgewertet hat als die türkische Lira. Hier beträgt der Wertverlust 95 Prozent. Allerdings sprechen wir jetzt von einem Land mit einer ganzen Serie an Staatspleiten. Die Lira steht im Vergleich also richtig schlecht da. Und dafür gibt es zwei Gründe: niedriges Vertrauen und hohe Verschuldung.

#32: 07:10-5# [Lang] Das klingt wirklich dramatisch. Jetzt kann aber eine schwache Währung auch Vorteile haben, nämlich im Export. Deshalb die Frage, Herr Altmann, wie stark ist der Zielkonflikt der Türkei? Auf der einen Seite soll die Währung gestützt werden, um die Inflation einzudämmen, aber eben nicht durch Zinserhöhungen, sondern durch Devisenverkäufe. Und auf der anderen Seite hilft eine schwache Lira bei den Exporten und dem erklärten Ziel, das Außenhandelsdefizit abzubauen. Wie kann die Türkei aus diesem Dilemma herauskommen?

#32: 07:36-7# [Altmann] Dieser Zielkonflikt ist in der Tat riesig, denn nach der klassischen volkswirtschaftlichen Lehre wird Inflation mit höheren Zinsen begegnet. Erdogan hat zur Bekämpfung der Inflation jetzt einen anderen Plan vorgestellt. Oberstes Ziel ist dabei das Erreichen einer einstelligen Inflationsrate. Dazu will er ein Frühwarnsystem für die Entwicklung der Lebensmittelpreise einführen, Preiserhöhungen im öffentlichen Sektor dürfen nur auf der Grundlage der angestrebten Inflation umgesetzt werden. Ein weiteres Ziel ist die Verringerung der Abhängigkeit von Importen. Diese Abhängigkeit führt aktuell zu einem permanenten Handelsbilanzdefizit und das soll, wie Sie ja bereits angesprochen haben, deutlich abgebaut werden. Denn im Moment muss dieses Handelsbilanzdefizit über ausländische Kredite und Investitionen ausgeglichen werden. Bleiben diese aus, leiden Wirtschaft und Währung. Wir werden auf jeden Fall beobachten, wie sich Erdogans Strategie hier auswirkt.

#32: 08:28-4# [Lang] Wie sieht es denn mit den Im- und Exporten der Türkei überhaupt aus? Im Vergleich zu anderen Ländern der Region ist sie wirtschaftlich relativ breit aufgestellt. Auch dadurch, dass viele ausländische Unternehmen mit Joint-Ventures in der Türkei produzieren lassen.

#32: 08:41-1# [Altmann] Schauen wir zunächst auf die gehandelten Güter und auf die Handelspartner. Die wichtigsten Exportgüter sind Textilien und Bekleidung, Autos und Autoteile, Nahrungsmittel, Maschinen sowie Eisen und Stahl. Beim Import liegt der Schwerpunkt ganz klar auf Brennstoffen wie Rohöl, diese machen 20 Prozent der Importe aus. Dahinter folgen Maschinen und Geräte. Und da wundert es nicht, dass Russland auf Platz 1 der Länder steht, aus denen Waren importiert werden. Dahinter folgen Deutschland und China. Türkische Waren gehen vor allem nach Deutschland, Großbritannien und in den Irak.

#32: 09:14-3# [Lang] Vielleicht ein kleiner Exkurs. Deutschland war jetzt in beiden Aufzählungen vertreten, wie wichtig ist die Türkei als Handelspartner für die deutsche Wirtschaft?

#32: 09:21-7# [Altmann] Deutschland zählt bei den Importen und Exporten jeweils 239 Handelspartner auf. Bei den deutschen Exporten rangiert die Türkei hier auf Platz 17, bei den Importen auf Platz 18.

#32: 09:32-1# [Lang] Kommen wir zurück zur türkischen Wirtschaft. Die Exporte müssten von der schwachen Währung ja profitiert haben.

#32: 09:38-6# [Altmann] Das ist in vielen Bereichen auch der Fall. Türkischer Stahl war in der Euro-Zone zeitweise so günstig, dass die beiden Konkurrenten ThyssenKrupp und Arcelor-Mittal bei der EU-Kommission eine Beschwerde wegen Dumpings eingereicht haben. Allerdings hat die schwache Währung da auch ihre Schattenseiten. Die Landwirtschaft ist beispielsweise auf importierten Dünger angewiesen und der wiederum wurde durch den Lira-Verfall signifikant teurer.

#32: 10:01-4# [Lang] Wenn ich jetzt mal auf die Corona-Pandemie schaue, wie hat die sich auf die türkische Wirtschaft niedergeschlagen? Hier denkt man zuerst an den Tourismus, der daniederliegt. Und wie groß sind die Chancen, durch Impfungen COVID schnell hinter sich zu lassen?

#32: 10:13-7# [Altmann] Während der Corona-Wellen 2020 hat die Türkei ihre Wirtschaft weitgehend offengelassen. Das hat der Wirtschaft auch sehr geholfen. Zudem hat die schwache Währung, wie wir es gerade thematisiert haben, den Export gestärkt. Der Tourismus war 2020 sicherlich die Schattenseite der türkischen Wirtschaft. Der Tourismus macht in der Türkei knapp sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Zeitweise ist der Tourismus im letzten Jahr komplett zum Erliegen gekommen. Anfang dieses Jahres lagen die Ankünfte internationaler Touristen noch 70 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Im Moment sehen wir zumindest eine langsame Erholung. Aber gerade die von Ihnen angesprochenen Impfungen werden diese Erholung sicherlich beschleunigen. 2019 kamen 52 Millionen Touristen in die Türkei, das waren die meisten weltweit. Und das zeigt noch einmal, wie wichtig der Tourismus für die Türkei ist. Aber trotz aller Schwierigkeiten war die Türkei im Jahr 2020 eine von ganz wenigen Volkswirtschaften mit Wachstum.

#32: 11:12-0# [Lang] Also, wir können festhalten: Die Türkei ist trotz des Wirtschaftswachstums im COVID-Jahr 2020 in einer äußerst schwierigen Lage. Eben durch das Anhalten der Pandemie, die schwache Lira, die hohe Inflation und das unsichere Investitionsklima. Und obendrauf kommt nun noch ein Milliardenbetrug an der türkischen Krypto-Börse Thodex, der das Land regelrecht erschüttert hat. Warum schlägt dieser Fall so hohe Wellen?

#32: 11:35-3# [Altmann] Ja, die Wellen sind besonders hoch, da der türkischen Notenbank Kryptowährungen ein Dorn im Auge sind. Zahlungen mit Kryptowährungen sind seit Anfang Mai nicht mehr erlaubt. Initiiert wurde dieses Verbot von der türkischen Zentralbank. Als Grund gibt die Türkei signifikante Risiken sowie möglicherweise irreparable Schäden an. Und wenig überraschend ist die Notenbank zudem besorgt, dass Cyberdevisen die ohnehin schon schwache türkische Lira noch weiter unter Druck setzen könnten. Das Halten der Kryptowährungen bleibt jedoch erlaubt. Von dem angesprochenen Skandal sind jetzt etwa 400.000 Anleger mit Kryptobeständen im Gegenwert von 500 Millionen bis zu 2 Milliarden US-Dollar betroffen. Ob die Geschädigten davon zumindest Teile jemals wiedersehen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch vollkommen offen.

#32: 12:21-3# [Lang] Jetzt ist die türkische Bevölkerung in erster Linie von der hohen Inflation betroffen und versucht natürlich, ihre Ersparnisse zu retten. Dabei greift sie nicht nur auf Kryptowährungen zurück, sondern hortet vor allen Dingen auch Gold und Devisen. Mancher Experte spricht hier von der Dollarisierung der Wirtschaft. Was hat das für Folgen?

#32: 12:38-1# [Altmann] Das hat den Verfall der türkischen Lira zusätzlich befeuert. Denn indem die türkische Bevölkerung Euro, Gold, Dollar oder auch Kryptowährungen erwirbt, wirft sie gleichzeitig türkische Lira auf den Markt. Das hat Erdogan wiederum dazu bewogen, seine Bevölkerung aufzurufen, Devisen zurück in türkische Lira zu tauschen. Dass diesem Aufruf nicht den großen Stil Folge geleistet wurde, sehen wir es sowohl am anhaltenden Kursverfall als auch an der anhaltenden Nachfrage nach Devisen, Gold und Kryptowährungen. Wir sehen hier bei der Bevölkerung Angst um den Wert des Ersparten. Ende 2020 lagen etwa 260 Milliarden US-Dollar in Fremdwährungen auf Konten bei türkischen Banken. Durchschnittlich sind das 3200 Dollar pro Person, wenn wir hier noch einmal den Bogen zu Kryptowährungen schlagen wollen: Vor dem Verbot haben immer mehr Händler Kryptowährungen als Zahlungsmittel akzeptiert. Das durfte man durchaus schon als langsamen Substitutionsprozess der Landeswährung bezeichnen.

#32: 13:33-8# [Lang] Das sind alles sehr alarmierende Entwicklungen. Jetzt, mit einer schwachen und möglicherweise noch schwächer werdenden Lira, bekommt die Türkei ein weiteres massives Problem. Denn ihre Fremdwährungsschulden werden quasi unbezahlbar, der Schuldenberg steigt.

#32: 13:46-6# [Altmann] Das ist vollkommen richtig, denn die Schulden wachsen damit parallel zum Verfall der Lira. Und dieser Schuldenberg betrifft auch ganz stark Unternehmen und private Haushalte. Schauen wir auf die Hintergründe. Konsumausgaben stehen in der Türkei für mehr als 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist ein Wert, den wir sonst nur aus den USA kennen. Dass sehr viel auf Kredit konsumiert wurde, ist eigentlich überflüssig zu erwähnen. Der Beitrag der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen 15 Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen. Das zeigt, dass trotz guter thematischer Voraussetzungen für die Landwirtschaft deutlich stärker in andere Sektoren, beispielsweise den Immobiliensektor, investiert wurde. Das hat zu einem Immobilienboom in der Türkei geführt, aber eben auch zu hohen Schulden, teilweise auch im Ausland. Bei diesen Unternehmen droht immer die Gefahr, dass eine ausländische Bank plötzlich beginnt, den Geldhahn zuzudrehen. Und dann würden sicherlich ganz schnell andere folgen.

#32: Von wieviel Auslandsschulden reden wir denn überhaupt?

#32: Die türkische Notenbank gibt die Auslandsschulden mit 435 Milliarden US-Dollar an. Diese entfallen zu etwa einem Drittel auf Unternehmen und private Haushalte, die anderen zwei Drittel auf Finanzinstitute, die Notenbank selbst und die öffentliche Hand. Mit 57 beziehungsweise 30 Prozent sind der Dollar und der Euro hier die ganz klar dominierenden Währungen. Der türkische Staat muss im November dieses Jahres noch eine in Euro begebene Anleihe über 1,25 Milliarden zurückbezahlen. Im nächsten Jahr nimmt die Zahl der Fälligkeiten dann zu. Dann werden zwei Dollar-Anleihen und eine Yen-Anleihe fällig. Für die 2026 fällige Euro-Anleihe liegt die Rendite aktuell bei gut vier Prozent. Das ist ein Renditeaufschlag von knapp fünf Prozent zu deutschen Bundesanleihen. Das Rating liegt hier übrigens im Single B-Bereich und damit im Non-Investment-Grade Bereich.

#32: Das ist also ein enormer Druck und eine enorme Last für den türkischen Staat. War diese Entwicklung denn schon länger absehbar?

#32: Schauen wir mal etwas weiter zurück. 2005 begannen die Beitrittsgespräche der Türkei mit der EU. In diesem Jahr hat die Lira aufgewertet. Da war an Schulden in harten Währungen also eher von Vorteil. Seit dem Einfrieren der Beitrittsgespräche 2016 ging es für die Lira allerdings steil bergab und Auslandsschulden wurden immer teurer.

#32: 16:01-2# [Lang] Also gibt es da auch eine gewisse Korrelation mit politischen Ereignissen wie den EU-Beitrittsverhandlungen. Jetzt aber riskiert Erdogan mit seiner Politik ja den wirtschaftlichen Kollaps, wie könnte das Worst-Case-Szenario aussehen? Und was hätte das für Folgen?

#32: 16:15-3# Der Worst Case wäre ganz klar ein Zahlungsausfall der Türkei, also die Staatspleite. Das würde bedeuten, dass die Gläubiger, also die Inhaber türkische Staatsanleihen, ihr Geld und ihre Zinsen zumindest nicht vollumfänglich erhalten. Die Türkei würde kaum noch an neues Geld kommen und könnte die laufenden Ausgaben nicht mehr vollständig bezahlen. Das würde dann auch Polizei, Feuerwehr, Behörden, Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Universitäten et cetera betreffen. Beamte, Arbeitslose und Rentner würden ihre Bezüge zumindest nicht vollständig ausgezahlt bekommen. Mögliche weitere Folgen wären ein Bank-run, Zusammenbrüche von Banken, höhere Arbeitslosigkeit, Armut und vielleicht sogar Unruhen und Krawalle.

#32: 16:57-7# [Lang] Wirklich ein Extrem-Szenario, das hoffentlich verhindert werden kann. Wie könnte denn eine Stabilisierung an den türkischen Märkten erreicht werden? Ist sie unter Erdogan, der angeblich nur noch auf enge Vertraute, die ihn bejubeln, aber eben nicht mehr auf seine Berater hört, überhaupt möglich?

#32: 17:13-6# [Altmann] Ein Programm des Internationalen Währungsfonds ist immer wieder im Gespräch. Die Türkei würde dadurch Zugang zu Devisen erhalten, müsste im Gegenzug allerdings auch Reformauflagen erfüllen. Erdogan lehnt dies kategorisch ab. Denn Erdogan sieht ein IWF-Programm als Aufgabe der politischen Unabhängigkeit. Doch dabei sind die Türkei und der Währungsfonds eigentlich alte Bekannte. Seit den frühen 60er-Jahren gab es insgesamt 19 Beistandsabkommen der Türkei mit dem IWF. Und die Türkei war auch mitten in einem Hilfspaket des IWF, als Erdogan 2003 an die Macht gewählt wurde. Und gerade dieses Hilfspaket wird vom IWF noch heute als Vorzeigebeispiel für eine besonders erfolgreiche Intervention genannt. Damals hat Erdogan die Umsetzung auch unterstützt. Zehn Jahre lang bis 2013 musste Erdogan sich dann mit dem IWF arrangieren. Seit 2013 ist die Türkei beim IWF schuldenfrei. Ob es Erdogan schafft, nach seinen zehn Jahren mit dem IWF auch zehn Jahre ohne den IWF zu regieren, das werden wir weiterhin beobachten.

#32: 18:14-6# [Lang] Das werden wir sicher, Herr Altmann. Und das war damit eigentlich auch schon ein sehr gutes Schlusswort, denn wir kommen zum Ende unseres Podcasts. Vielen Dank für Ihre sehr ausführlichen Erläuterungen, es war wie immer äußerst spannend. Und für heute verabschieden wir uns nun von Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer. Wir freuen uns, wenn Sie wieder dabei sind am 26. Mai, wenn die nächste Folge von Hashtag Volatility erscheint. Bereits am kommenden Freitag, am 14. Mai ab sieben Uhr, erwartet Sie eine neue Folge des Podcasts 7TageMärkte, die Wochenvorschau der Börsen-Zeitung. Bis dahin, alles Gute.

#32: Bleiben Sie gesund.